Mittwoch, 18. Februar 2009

Landraub in großem Stil

In Kambodscha werden tausende Menschen gewaltsam vertrieben

Von Robert Luchs

Phnom Penh – Als Ouk Soroun von einem Verwandtenbesuch in der Provinz Kompong Cham in die Hauptstadt Phnom Penh zurückkehrt, traut er seinen Augen nicht: Die Hütten seines Wohngebietes nahe der Russischen Botschaft sind in einem Umkreis von meh-reren hundert Metern zerstört. Neben seiner Bambushütte, eine der wenigen verbliebenen, steht ein riesiger Bulldozzer, dessen gewaltige Reifen sogar den Dachfirst überragen.

Die Anwohner waren vor Wochen von den kambodschanischen Behörden vor die Wahl gestellt worden: zwischen einer symbolischen Entschädigung von einigen tausend Dollar oder einer Ersatzhütte weit vor den Toren der Hauptstadt. Diejenigen, die einen Job haben, hätten mehrere Stunden gebraucht, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, wenn sie sich für die zweite Lösung entschieden hätten. Die finanzielle Variante erscheint auf den ersten Blick in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatseinkommen bei 30 Dollar liegt, attraktiv. Doch stehen die von den Behörden angebotenen Gelder in keinem Verhältnis zu den Grundstückspreisen, die in den vergangenen Jahren rasant gestiegen sind und die Spekulation anheizen.

Ouk Soroun weiß, dass ihm nicht viel Zeit für seine Entscheidung bleibt. Die Behörden als Handlanger großer Konzerne machen Druck. Das inzwischen auch am Rande Phnom Penhs wertvoll gewordene Bauland wird kurz nach der mit der Vertreibung von Hunderten von Menschen einhergehenden Räumung mit hohem Gewinn verkauft. Man kann nur ahnen, wie viel davon in den Taschen der städtischen Beamten verschwindet. Kambodscha gehört zu den korruptesten Ländern der Welt.

Haben die Kambodschaner diese Machenschaften bisher klaglos hingenommen, so formiert sich allmählich Widerstand. Die Entschlossenheit der Bewohner, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen, wird unterstützt von westlichen Nichtregierungsorganisationen, aber in jüngster Zeit auch immer öfter von kambodschanischen Menschenrechtsorgani-sationen wie Adhoc und Licadho, deren Präsidentin Kek Galabru weit über die Landes-grenzen hinaus hohes Ansehen genießt. Diese Organisationen wissen, welche integren Anwälte sie einschalten und welche Kontakte sie nutzen müssen.

Dennoch hat das Engagement einheimischer Menschenrechtler noch keine grundlegende Änderung bewirken können; die Vertreibungen, oft verbunden mit Landraub, gehen weiter. Dennoch zeigt sich der Widerstand in vermehrten Protesten, die von den betroffenen Menschen in friedlicher Absicht organisiert werden. Dass sie nicht selten gewalttätig enden, dafür ist die Polizei verantwortlich, die rücksichtslos vorgeht und schnell zur Waffe greift.

Vor wenigen Wochen wurden sogar Militärpolizisten eingesetzt, um eine Protestdemonstration in der Provinz Kandal aufzulösen. Zwei Dorfbewohner wurden verletzt, als auf die Menge geschossen wurde. Auch hier das gleiche Bild: ein Gebiet von 300 Hektar Land, das zu den Gemeinden Kandork und Ampov Prey gehört, soll „gesäubert“ werden. Diesmal sind es nicht die willfährigen Behörden, sondern gleich das Unternehmen selbst, die Heng Development Company, das sich das wertvolle Bauland aneignet.

Die Dorfbewohner lassen sich zunächst nicht einschüchtern. Erst als die schwerbewaffneten Militärpolizisten das Feuer eröffnen, weichen die Demonstranten zurück – aber nur für kurze Zeit, um sich dann in Richtung Takhmau in Bewegung zu setzen, wo Ministerpräsident Hun Sen eines seiner vielen Häuser besitzt. Ob der mächtige Regierungschef den Artikel 31 der kambodschanischen Verfassung kennt, der ausdrücklich festlegt, dass „das Königreich Kambodscha die Menschenrechte ... anerkennt und respektiert“? Hun Sen lässt sich nicht blicken. Es wäre auch das erste Mal, dass der Ministerpräsident sich dazu herablässt, mit Vertretern seines Volkes zu reden, die lediglich versuchen, ihre ureigenen Rechte einzu-fordern.

Inzwischen ist die Militärpolizei in den beiden Dörfern verstärkt worden. Sie schützt die Arbeiter des Heng „Entwicklungsunternehmens“, die nun rigoros vorgehen, um mit Bulldozzern das Land zu „säubern“. Wieder einmal müssen die Menschen weichen. Auch wenn sie nur gelegentlich Arbeit gefunden haben, so hatten sie doch bisher wenigstens ein Dach über dem Kopf.

Kek Galabru, die Präsidentin von Licadho, verurteilt scharf das rücksichtslose Vorgehen der Behörden und der Polizei. Die Bauern hätten lediglich ihre verfassungsmäßigen Rechte in Anspruch genommen. In Kambodscha häufen sich die Vertreibungen, wobei die Grenze zwischen Landraub und einer mit geringfügiger Kompensation verbundenen Enteignung fließend sind. Einige Fälle sind juristisch besonders kompliziert, da die Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 das Katasterwesen im Land völlig vernichtet hatten. Besitz widersprach der kommunistischen Ideologie der damaligen Herrscher, die sich eine Art Steinzeitkommunismus zum Ziel gesetzt hatten. Mit Hilfe deutscher Experten der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) wird das Katasterwesen wieder auf-gebaut.

Die rechtliche Grauzone kommt heute Konzernen aus Korea, Taiwan, der Volksrepublik China und Malaysia zugute, die mit Duldung oder Hilfe der kambodschanischen Behörden sich Land aneignen, um dort neue Textilfabriken oder Einkaufszentren zu errichten. Laut amnesty international sind rund 150 000 Kambodschaner ständig von Vertreibungen bedroht – eine eher noch zu niedrig gegriffene Zahl. Am Boeng-Kak-See in Phnom Penh beispielsweise erfuhren im vergangenen Jahr 20 000 Menschen, dass die Stadtverwaltung dieses Gebiet für 99 Jahre an einen Bauträger verpachtet hatte, ohne mit den Betroffenen irgendwelche Vereinbarungen zu treffen.

Die Bewohner mehrerer zwangsgeräumter Gebiete in der Hauptstadt wurden in Gegenden umgesiedelt, in denen es an grundlegenden Einrichtungen wie Wasser- und Stromversorgung oder Kanalisation mangelt.

Die Industrieländer, die jedes Jahr für die Hälfte des kambodschanischen Etats auf-kommen, sind sich des Problems bewusst. Ihr Einfluss aber ist gering. Sie versuchen, den Druck auf die Regierung zu verstärken, illegale Landgeschäfte zu stoppen. Der frühere deutsche Botschafter in Phnom Penh, Pius Fischer, sieht den Grund für die wachsende Armut unter anderem darin, dass die Vertriebenen keine oder kaum eine Entschädigung erhalten, wie nach Artikel 5 des Landgesetzes vorgesehen. Daher sei die Gefahr sozialer Spannungen groß.

Besonders schwer trifft der Landraub die über 100 000 Ureinwohner unter den 14,5 Millionen Kambodschanern. Sie leben in engem Einklang mit der Natur in den nördlichen und nordöstlichen Provinzen Mondulkiri und Ratanakiri. „Wer den Lebensraum der Ureinwohner aus reinem Gewinnstreben gefährdet, verurteilt sie zu einem langsamen Tod,“ sagt Chith Sam Ath, Leiter eines Forums, das sich der Belange der Vertriebenen angenommen hat.

Aber auch von der unmittelbaren Nähe ausländischer Touristen lassen sich die Behörden nicht stören. Meist werden die Bewohner im Morgengrauen überrascht, wie im Dorf Mittapheap in der Nähe von Sihanoukville, einem beliebten Badeort. Die Polizei brannte 80 Hütten nieder und verwüstete 20 weitere. Wasserbüffel, unersetzliche Helfer der Bauern, wurden kaltblütig abgeknallt. Wo die Bewohner bisher Reis anpflanzten, soll jetzt ein Hotel gebaut werden. Eines von vielen in der Küstenstadt Sihanoukville, geführt von ausländischen Betreibern, die das verdiente Geld schnell außer Landes bringen. Die Menschen von Mittapheap aber stehen vor dem Nichts.